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Copyright Detlev Bölter

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Teil 7. Schlußfolgerungen (nach dem Eigenbau):

Wenn man selbst ein solches Addierwerk baut, wird einem besonders klar, welche technischen Probleme damals der Zehnerübertrag bereitete. Wir wissen, dass Pascal bei all seinen (man sagt, etwa 40) gebauten Maschinen keine optimale Lösung fand, nicht einmal bei nur einer Übertragungsrichtung. Leipniz schlug sich lange damit herum, Poleni zerstörte seine Maschine, und vielleicht war sogar Uhrmacher Pfister froh, dass der Brand in seiner Werkstatt den Beschwerden Schickards über mangelhaftes Funktionieren ein Ende setzte. Bei all den technischen Problemen des 17. und 18. Jahrhunderts, was die Präzision betraf, erscheint übrigens das Astrolabium von Antikythera aus dem 1. Jahrh. a.Chr. als wahres Wunder (neben dem Schickards Handplanetarium wie ein Kinderspielzeug erscheint). Doch zurück zu unserer Rekonstruktion:

Eine wesentliche Grenze, oder ein bautechnisches "Fenster", wird vom Gewicht der beweglichen Teile bestimmt. Je höher das Gewicht dieser Teile, desto stärker wirkt das Trägheitsgesetz. Das bedeutet: Je höher das Gewicht, desto mehr Kraft braucht man, a) die Teile zu bewegen und vor allem b) sie wieder abzubremsen, damit sie nicht überschleudern. Für letzteres muss man die Rasterfedern verstärken, was wiederum mehr Druck für den Antrieb der Teile erfordert. Richtig bemerkbar macht sich dieser aufzubringende Druck dann, wenn der Zehnerübertrag simultan über viele Stellen hinweg erfolgt und sich die Druckverhältnisse addieren.

Nur sehr leichte Bauteile überschleudern nicht, erlauben eine schwache Einstellsperre und damit einen problemlosen Zehnerübertrag über fünf bis acht Stellen. Man denke an die leichten Kunststoffräder der späten amerikanischen Scheibenaddierer. Zu Schickards Zeit gab es zwar bereits seit etwa 100 Jahren Taschenuhren (im Format einer Milchkonservendose), aber konnte Schickards Mechaniker, Johann Pfister, derart aufwendig und fein arbeiten? Oder, fand er das bei einem Prototyp überhaupt notwendig? Musste er nicht zuerst die gleiche Erfahrung mit der Kraftübertragung machen wie wir heute, wenn wir eine Replica bauen?

Bei den Einstellscheiben, den Walzen und dem Einzahn hätte ich jedenfalls einiges an Gewicht sparen können. Mir wurde das leider etwas spät klar, und ich wollte die Teile nicht neu fertigen. Würde ich ein weiteres Additionswerk bauen, würde ich Gewicht sparen, wo es nur geht: statt Holzwalzen dünne Speichenräder aus Metall verwenden und mit einem Metallband für die Beschriftung umkleiden. Der Einzahn wäre nicht auf Unterlegscheiben montiert, die vorderen Einstellscheiben wären dünner und möglichst groß. Bei einem weiteren Addierwerk würde ich also alle beweglichen Teile maximal leicht bauen.

Ich möchte mit einer Lösungen schließen, die für mich nach allen Überlegungen und Versuchen optimal erscheint und auch als jene, die mit größter Wahrscheinlichkeit von Schickard gewählt wurde. Sie entspricht der Lösung (2), Abb 2 der vorigen Seite. Ich konnte sie nicht bauen, da sie für eine vernünftige Größenordnung größere Zahnräder erfordert als uns Bastlern normalerweise aus alten Rechenmaschinen zur Verfügung stehen. Facit: Verwenden wir kleine Zahnräder, im Bereich von 19 bis 25 mm, dann ist mein Nachbau der technisch einfachste und solideste. Verfügen wir über größere Zahnräder, können wir so bauen, wie es Schickard vermutlich tat:



Optimale Lösung (mit versetzten großen Zahnrädern). Die separaten Rastersperrräder sind blau gezeichnet, die Sperrhebel sind im farbigen Schema weggelassen. Zum Verständnis des Aufbaus vgl. die Zeichnungen darunter, links die Seitenansicht ohne, rechts eine 3D-Schrägsicht mit eingezeichneter Rastersperre. Man benötigt 6 Zahnräder für die Ziffernachsen und 5 Zwischenräder sowie 6 "verstümmelte" Zahnräder für die Rasterung - ganz entsprechend Schickards Beschreibung (5 der verstümmelten Zahnräder sitzen auf den Zwischenradachsen, eines auf der ersten Ziffernachse).

Die versetzte Anordnung erfordert Zahnräder von 35 bis 40 mm Durchmesser, dünne Achsen (4 mm) sind hilfreich. Baut man den Einzahn auf das Zwischenrad, so wird freilich seine Länge durch den Abstand zur Nachbarachse begrenz. Hier wäre es sicherer, die Spitzen der oberen Zahnräder um einen Millimeter zu kürzen. Damit wären die Zwischenzahnräder "ganz ähnlich" gefertigt. Links ist der Radius des Einzahns grün dargestellt, erkennbar ist, dass er die Achse rechts darüber nicht berührt. Dennoch wird allein durch die Zeichnung klar, wie präzise man fertigen muss.

Rechts ist die Gewichtsklinke eingezeichnet, so wie ich sie versuchen würde - vielleicht müsste sie etwas dicker ausfallen als ich sie gezeichnet habe. Man erkennt, dass das dazugehörige Zahnrad aus der alten Form zurechtgefeilt ("verstümmelt"?) werden sollte, damit das Gewicht mit möglichst wenig Reibung gleitet und dennoch präzise einrastet. "Verstümmelt" trifft auf jeden Fall zu, denn als normales Zahnrad ist es nicht mehr tauglich. Von diesen Sperrrädern bräuchte man tatsächlich 6 Stück, von den übrigen 11 Stück.
Die Ziffernwalzen wären leichte Speichenräder, die Ziffern sind auf einem dünnen Metallband aufgemalt (man könnte auch Boden und unteren Rand einer kleinen Blechdose zurechtschneiden).


Ich erinnere nochmals an Schickards Skizze mit den drei versetzten Zahnrädern, der ich mit der obigen Anordnung sehr nahe komme.
Folgt man diesem Gedanken, wird eine "externe", also daneben gelagerte Rasterung plausibel, denn innerhalb dieser Dreier-Anordnung kann man sie nur schwerlich unterbringen - es sei denn, man verwendet federnde, von unten in das Zwischenrad einrastende Sperren.

Inzwischen (2007) habe ich mich aufgerafft und ein neues Funktionsmodell gebaut, das größere (handgefertigte) Zahnräder enthält und damit auch die rechtwinklige Anordung der Skizze verwirklicht. Mehr und ausführlich hier (Artikel im PDF-Format)




Anhang:

Schickards Erfindung in Scheibenrechnern

1. Sterling Dial-A-Matic"
Eine Zeit lang glaubte ich, dass die Patentschrift von Otto Lehre (1957) Schickards Idee zum krönenden Abschluß gebracht hat, wenn auch in schnöder Plastikform. Diese technische Lösung habe ich an anderer Stelle nochmals beschrieben. Sie verwendet einen genialen Trick, um die Gesamtanordnung nochmals zu vereinfachen. Hier das Prinzip:



Der Dial-A-Matic von Otto Lehre, hier in durchsichtiger Ausführung ("SEE"


Die Skizze zeigt einen Vertikalschnitt. Die Einstellscheiben 1 sitzen auf Zahnrädern 5 (die Zähne sind nicht gezeichnet). Bei 2 besitzen sie Mitnehmerstifte, die das Zwischenzahnrad 3, ebenfalls an Stiften, bei Addition oder Subtraktion um eine Stelle transportieren, so wie die Einzähne in den bisher vorgestellten Lösungen. Da die Achsen der Zwischenzahnräder etwas versetzt sind, greifen die Zähne nur in das jeweils linke Einstellrad, und als weiterer Effekt, berühren die Mitnehmerstifte 2 die Stifte der Zwischenzahnräder (Position 4). Die auf dem Foto erkennbaren oberen Wippen positionieren das Zwischenrad beim Übertrag exakt, unten erkennt man die feinen Einstellsperrfedern.


2. "Kes-Add Pocket Adder" von Elmar Kesling
Kurze Zeit nach Entdeckung des Dial-A-Matic fand ich einen kleinen, unscheinbaren Rechner, der Schickards Idee noch eindeutiger nachvollzieht, den "Kes-Add Pocket Adder". Man erkennt unten den Einzahn in Form einer Ausbuchtung. Dies ist nichts anderes als der lange Einzahn, den ich auf den vorherigen Seiten als eigentliche schickardsche Lösung herausstellte und der tübinger Lösung als überlegen beschrieb (Variante 1, lineare Lösung). Der Einzahn ist hier auf dem Einstellrad angebracht.

Das Problem verschachtelter bzw. stufenweise aufsteigender Ebenen vermeidet Kesling durch schräg gegeneinander versetzte Ebenen. Man denke sich also die Einstellscheiben um etwa 5° geneigt.



3. "Pebalia", Patent DE216318
Von Martin erwähnter, jedoch weitgehend unbekannter Scheibenaddierer, zu dem Vincenz Edler zu Pebal und Gustav Salffner 1908 ein Patent erhielten. Er verwirklicht ebenfalls den schickard'schen Zehnerübertag in beide Richtungen per verlängertem Einzahn, es ist jedoch nicht bekannt, ob er zuverlässig funktionierte. Hier eine Skizze aus der wenig detaillierten Patentschrift:

Man erkennt den Einzahn auf den Scheiben "i". Wichtiger als diese Lösung waren den Anmeldern variable Sperrvorrichtungen (z.B. ein "Schwingrahmen"), die die Einstellungen gleichmäßiger und den Übertrag weniger kraftaufwändig machen sollten. Es fällt bei den Scheibenaddierern, die vor ca. 1950 den beiseitigen Übertrag per Einzahn verwirklichen wollten auf, dass nur wenige Erfolg hatten. Fertigungs- oder Präzisionsprobleme? Nur der Addometer, der ab 1920 auf dem Markt war, löste das Problem erfolgreich. Wir können erneut schlußfolgern, dass eine alte Idee immer wieder wieder geboren wurde, bis die Fertigungsgenauigkeit ausreichend war - und da waren bereits ganz andere Generationen von Rechnern erfunden.